Auf dieser Seite finden sie eine Auswahl interessanter Bücher, Filme, Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema Mauer und Leben in der ehemaligen DDR.
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    Newsletter No. 7
    Juli / August 2000

    Liebe Leserinnnen, liebe Leser,
    liebe Freunde von „Die-Berliner-Mauer.de“,

    willkommen zu unserer inzwischen siebenten Ausgabe. Soviel vorab: auch weiterhin werden wir unser Serviceangebot für Sie aufrecht erhalten können – mit inzwischen über 3 Millionen Hits haben wir unsere eigenen Erwartungen übertroffen.
    Nach zwei Lektionen Ökonomie wollen wir nun einen kleinen Schwenk auf die Landschaft verblichener ostdeutscher Institutionen machen, die wesentlich für die Ausprägung einer typischen ostdeutschen Sozilaisierung war. Nein, wir beginnen nicht mit Kindergarten und Schule – dazu haben wir in den letzten Wochen viel aus nicht immer berufenem Munde gehört. Wir wollen gleich die Register ziehen und beginnen mit der großen Disziplinierungsmaschine der DDR – der Nationalen Volksarmee (NVA).


    Lektion III – Die Nationale Volksarmee

    Jeder vernünftige junge Mann in der DDR hat ihn gefürchtet wie der Teufel das Weihwasser – den Einberufungsbefehl zur ostdeutschen Armee (im Volksmund „Fahne“). Er war auf diesen Tag exzellent vorbereitet. Wehrübungen, Sportunterricht (Pflichtfach Handgranatenweitwurf) und Pflichtausbildung bei der paramilitärischen Gesellschaft für Sport und Technik (GST) konnte sich kein Junge entziehen. Bereits mit 16 Jahren erfolgten in den Schulen und Ausbildungsstätten die ersten Musterungen für den Wehrdienst, um die Wehrfähigkeit der jungen Männer festzustellen und schnell die Weichen für die verschiedenen Laufbahnrichtungen zu stellen. Schulen und Musterungskomitees arbeiteten Hand in Hand. Nur wenigen gelang es, sich der Einberufung zu entziehen.
    Die meisten Männer, die die NVA durchlitten haben, sind heute traumatisiert, auch wenn ihnen dies nicht immer bewußt ist. Geprägt von monatelangem Gruppenzwang, von psychologischem Terror, einem engen Dienstkorsett, dass in der Regeln nur zwei Urlaube pro Halbjahr zuließ, von Alkoholmißbrauch, Gewalt, und einer an die Wehrmacht erinnernden EK-Bewegung (eine bewußt von den Offizieren geförderte Abstufung der Soldatenhierarchie nach den absolvierten Diensthalbjahren und dem Heranrücken der Entlassung; EK= Entlassungskandidat), die die unteren Dienstgrade und jüngsten Soldaten zur Verrichtung erniedrigender Dienste zwang. Die Selbstmordrate von Soldaten und jungen Unteroffizieren, die sich auf Wachgängen mit der russischen Maschinenpistole Kalaschnikow erschossen, oder auf anderem Wehe umbrachten, wird noch heute verschwiegen.

    Nach der Wende ging es in erster Linie um Integration und um die Erhaltung der Truppenstandorte – als potentielle Arbeitgeber in strukturschwachen Regionen. Da verwundert es nicht, dass erst heute, zehn Jahre später, das Militärgefängnis Schwedt in einem kleinen Film der Filmemacher Joksch und Starina thematisiert wird.
    Schwedt, das war der Alptraum aller Soldaten, die sich während ihrer Dienstzeit der permanenten Androhung einer Verschickung in dieses Militärstrafgefängnis ausgesetzt sahen. Bereits geringe Versehen, ein nicht einsatzbereites Gefechtsfahrzeug zum Beispiel, ein Widerwort gegen einen Vorgesetzten, oder eine staatsfeindliche Äußerung, konnten einen Soldaten durch diese Hölle gehen lassen. Die Strafen schwankten zwischen 2 Monaten Disziplinierung und bis zu 2 Jahren Haft. Die Zeit in Schwedt mußte nachgedient werden, wie es im Jargon hieß.

    Wer von dort wiederkehrte, hatte die Finsternis gesehen, und zumeist nicht ohne Schaden überlebt. Bisher gibt es wenige Augenzeugenberichte von der Willkür der diensthabenden Offiziere, von der Unmöglichkeit, sich irgendwelcher Rechtsmittel zu bedienen, von der unmenschlichen und gefährlichen Arbeitsbelastung der Insassen. Zur Rechenschaft ist hierfür niemand gezogen worden und von den ehemaligen Verantwortlichen will heute keiner mehr etwas von Schwedt gewußt haben. (siehe politische Bücher) Auch die Medien haben sich dieses Themas noch nicht angenommen.

     

Bücher      

 

    Buch des Monats:

    Olaf Müller
    Tintenpalast, Roman, Berlin Verlag,  2000

    Um es gleich voranzustellen: auch dies ist nicht der vielbeschworene Wende- oder Epochenroman, der immer wieder von den Feuilletons herbeigesehnt wird. Ganz im Gegenteil, dieses Buch, der Erstling des Berliner Schriftstellers Olaf Müller (1962) ist eine Miniatur, die das Leben zweier junger ostdeutscher Männer miteinander verknüpft, Freunde, die zu Feinden werden, und die zwei Welten miteinander verbindet, die nicht unterschiedlicher sein könnten und doch so viele Gemeinsamkeiten in sich bergen. Was die Miniatur auszeichnet, ist die Konzentration auf die sehr individuelle Perspektive ihrer Protagonisten, die Müller präzise wie ein guter Coach begleitet, und auch das enge Verweben der literarischen Räume, in denen sich der Stoff entfaltet. Dann, zum Beispiel, wenn der Osten „postwendend“ mit seinen Abgründen im Westen aufgeht, oder, wenn uns der Autor im dritten Teil des Buches nach Afrika verführt und dort, mitten in Namibia, mit der deutschen Provinz konfrontiert. Blubars/DDR, 1978, Berlin-Ost, 1988, und Swakopmund/Namibia, 1994, sind die Stationen, die diesem Buch den Rahmen geben.

    Doch fangen wir mit den beiden jungen Männern an, um die sich alles rankt: Henry Magdaleni heißt der eine, er ist der Sohn einer Apothekerin, der in der kleinen ostdeutschen Provinzstadt Blubars aufwächst. Im Schatten des einzigen Privatunternehmers des Ortes, des Luftpumpengottes Rotuma, lernt Magdaleni früh die Prinzipien Macht und Ohnmacht kennen. Er darf mit den Töchtern des Fabrikanten schlafen, nicht aber einer der ihren werden. Für die Erniedrigungen, die Magdaleni darin erfährt, rächt er sich mit Denunziation. Für die jahrelang hinterzogenen Steuern zeigt er den Unternehmer bei den unerbittlichen staatlichen Behörden an und ruiniert so dessen Existenz und das Leben seiner ehemaligen Gespielinnen. Obwohl der Autor das Vergehen seines Helden schonungslos offenlegt, wirbt er um Verständnis für Magdaleni, den er als intelligenten, sensiblen, unverstandenen Außenseiter darstellt, dem kein anderer Weg bleibt, als die Schneise des Verrates zu gehen. Als wäre Macht ein Menschenrecht, das um jeden Preis zu erzielen ist. Vor allem später, wenn Magdaleni in Ost-Berlin lebt, das Müller fabelhaft als morbide Nischenwelt kurz vor ihrer Selbstauflösung beschreibt. Inmitten einer „Szene“, die sich anfangs eher halbherzig gegen die Vereinnahmung durch das „System“ wehrt, von diesem belauert und so erst „scharf“ gemacht wird, schlüpft Magdaleni in die Rolle des kleines Gottes, der Schicksal spielt, wenn er die einen ans Messer liefert und die anderen verschont. Niemals spricht der Autor aus, worum es wirklich geht: um die Allmacht der Stasi, die sich bis in die letzten Verästelungen der Gesellschaft einnistete und die sich hierzu gefährlicher, weil intelligenter Parasiten bediente. Wie bereits Wolfgang Hilbig in seinem grandiosen Buch „Ich“, der monumentalen Reflexion des Stasi-Spitzels Cambert, fesselnd einfing, funktionalisierte das System vorzugsweise jene, die es durchschaut hatten und selbst mit Intelligenz für ihre eigenen Interessen und Machtgelüste zu nutzen wußten. Die Stasi wußte zu genau, dass sich der kommunistische Idealismus längst abgenutzt hatte und dass mit frömmelnden Überzeugungstätern keinen Partisanenkrieg gegen Andersdenkende zu gewinnen war.
    Wenn Henry Magdaleni der Verführer ist, so ist Simon Sanges der Verführte. Magdaleni spürt den Freund in den 80er Jahren in Berlin auf, denunziert und mißbraucht ihn. Als dieser einige Jahre nach der Wende die Reichweite und den Abgrund des Verrates auslotet, ist Magdaleni längst aus dem wiedervereinigten Deutschland verschwunden, um sich der Rache der Verratenen und dem neuen System zu entziehen. Sanges verfolgt den abtauchenden Freund bis nach Namibia und fordert ihn in der Wüste, dort, wo der Roman kulminiert, zu einem Zweikampf heraus. Aber einmal mehr muß er scheitern. Ungeschoren kommt der Freund, den er richten wollte, davon. Müller verleiht uns das Privileg, die rasende Wut des Rächers Simon auszukosten und gleichzeitig über den selbstgerechten Zynismus des Gejagten Henry zu stolpern, der kaum einen Moment daran zweifelt, der Rache zu entgehen. Als wollte er uns die illusionslose Wirklichkeit schmecken lassen, in der Täter immer wieder zu Siegern werden.

    Tintenpalast ist der Roman über das Ende einer Traumzeit, die man auch DDR nennen konnte. Einer Traumzeit, die weit über ihr physische Ende hinausging, und wie sie von vielen noch immer weitergeträumt wird. Es ist immer das Immaterielle, das fortbesteht: die Gefühle, die Gerüche, die Legenden, die sich zu einem Kanon formen, der immer wieder neu entdeckt wird. Selbst in der Ferne, wenn sich Magdaleni in Namibia als Inspekteur kilometerlanger Weidenzäune verdingt, wird auch die Vergangenheit plastisch heraufbeschworen. „Aus gefährlich umzäunter Manege war er entflohen. Sie holt ihn ein.“, schreibt Müller.

    Und, es geht um eine Zeit, in der man sich hinter den Fassaden von Illusionen und angenommenen Identitäten verstecken konnte und mußte. Was die beiden Protagonisten letztlich aufeinanderprallen läßt ist, ist die Unvereinbarkeit ihrer Lebensweisen. Sanges, der nicht in der Lage ist, aus seiner Haut zu schlüpfen, und Magdaleni, der sich immer wieder seiner eigenen Wirklichkeit durch die Annahme neuer Rollen entledigt. Das Tagebuch, das Henry Magdaleni seit seiner Jugend in Blubars mit sich führt, der Tintenpalast, wird zu einer Traumarchitektur, einem weiteren Ort der Zuflucht, das Buch im Buche, in das der Protagonist mit seinen Gedanken flüchtet und in dem er sich immer wieder neu erschafft. Auch diese Gedanken werden nicht zum Maßstab seiner Wahrheit. Als Simons Sanges seinem Freund das Tagebuch stiehlt, um ihn zu „erkennen“ und zu entmachten, muß er feststellen, dass das Buch nichts über seinen Feind verrät.

    Tintenpalast ist ein spannender Roman. Er ist wirklich und unwirklich zugleich; wirklich in den Schicksalen, den Momenten der psychischen Beschaffenheit seiner Helden und den Motiven ihres Antriebes, unwirklich in seiner sprachlichen Umsetzung. Müllers Sprache, vor allem aber die Weise seines Erzählens ist artifiziell und nicht leicht zu fassen. Das Buch zu lesen, heißt auch immer ein wenig, den Text zu enträtseln, als schreckte der Autor selbst noch davor zurück, die Dinge beim Namen zu nennen: Verrat, Freundschaft, Macht und Ohnmacht werden nur vage angerissen. Vielleicht zieht der Autor auch deshalb die großen, biblischen Register: der Dialog mit dem weisen Fischer, die Nächte mit der Hure Marie und der Kampf in der Wüste, der keinen Sieger findet. Das Buch ist stark genug, es hätte diese Motive nicht wirklich nötig gehabt. (ts)

    Belletristik:

    Arnold Stadler
    Ein hinreißender Schrotthändler, Roman Dumont, 1999

    Als Arnold Stadler 1999 den Georg-Büchner Preis bekam, war er für viele noch ein Unbekannter. Inzwischen hat Stadler eine breitere Leserschaft gewonnen und sich durch seine einprägsamen, fast anachronistischen Kunst-Stücke den Ruf das Erzählers verborgener Geschichten erschrieben. Martin Walser, einer der ersten Stadler-Enthusiasten, bezeichnete Stadlers Bücher als ‚Heimatromane‘, weil sie notorisch in der süddeutschen Provinz - in der Gegend um Meßkirch – angesiedelt sind. Aber keine Beschaulichkeit wird dort vorgeführt, sondern eine unnachgiebige Nahaufnahme mediokerer und zugleich exotischer Realität. Stadlers Blicke auf die Kleinlichkeit des Heimatlichen verbindet sich mit authentischem Gespür für die Stimmungsbalance von Ernst und Komik.

    In seinem Roman Ein hinreißender Schrotthändler sitzt der Erzähler im Schattenfeld eines mittelalterlichen Ehepaars, wohlstandsgesättigt, arrangiert und unaufgeregt zerrüttet, dessen Lebenszement durch das Auftauchen von Ardian aufgeweicht wird. Adrian, der Schrotthändler vom Balkan, ist eigentlich auf der Suche nach einem Auto zum Ausschlachten. Doch ehe man sich versieht, sitzt er mittendrin im Familienidyll, nimmt Frau und Geld und wird zum ständigen Begleiter. Fast wehrlos nehmen die Eheleute hin, daß Adrian einen Platz am Familientisch beansprucht. Am Ende dieser aufgedrängten Adoption stehen bärbeißige Erpressungen und wohldosierter Familienterror, der das letzte Quentchen Harmonie vereinsamt zurückläßt. Das alles wird mit Genauigkeit für Sprachnuancen und emotionalen Dämmer vorgeführt. Die ganze Bandbreite des Nebeneinanderherlebens und der schmerzstillenden Mißverständnisse zieht als kunstvolles Panorama vorbei und zeigt sich in den Farben der ewig wiederkehrenden Provinz. Eine Provinz, die unbemerkt auf den Zug der Modernisierung aufgesprungen ist und sich, ebenso wie alles Heutige, dem Bann des permanenten Illusionsverlustes unterordnen muß. (sm)

    Tim Krohn
    Irinas Buch der leichtfertigen Liebe, Roman, Eichborn, Berlin, 2000

    In seinem neusten Buch läßt uns der in der Schweiz lebende Tim Krohn auf raffinierte Weise in die Werkstatt des Schreibens eintreten. Ein Autor, nicht ganz zufällig Träger des Namens Tim und seiner variationsreichen Koseformen im Russischen (Timka, Timuschka, Timoscha, Timka), beginnt seinen Sommer mit einer folgenreichen Begegnung. Auf einer Lesereise begegnet ihm ein reizvolles Wesen mit dem Namen Irina (Ira, Ir, Irka) Jurijewa, nur kurz, doch so heftig, daß er ihr ein Buch verspricht. Nun beginnt er Nacht für Nacht seine Seiten in die Tastatur zu hämmern, faxt ihr den Text, während sie ihn mit zungenfertigen und unverblümten Kommentaren versorgt. Sie lobt, nörgelt, fordert, treibt Tim in immer neue literarische Verstrickungen, erliegt schließlich seinem Talent. Natürlich ist es ein Vorspiel der Liebe, das die beiden hier verfolgen, und sie tun es so gekonnt und leichtfüßig, daß der Leser unversehens eingefangen wird.
    Tims Geschichte ist natürlich ein hinreißendes Liebesstück in dem es vor Entscheidungsnöten, Sehnsucht, Hintergehung und Heimweh nur so wimmelt. Wie in einem Vexierbild brechen sich einmal eingenommene Perspektiven, treibt es Menschen, die eben noch innig miteinander waren, in die Arme anderer, führt die Geschichte zurück zu Anfängen, die ebenso ihre Enden seien könnten. Zwischen Paris, Moskau und dem skandinavischen Svärdsjö schlägt das Pendel der leichtfertigen Liebe hin und her. Mal schwingt es heiter und spielerisch, dann andeutungsvoll mit einer Prise Schwermut, oft hocherotisch, häufig voller Mißverständnisse. Die Hauptdarsteller sind allesamt eingerahmt von ihren zahlreichen Vergangenheiten, ihren Träumen und deren Unbedingtheit. Deshalb unternehmen sie Ausbruchsversuche aus dem Dickicht des Alltags und liefern sich den Risiken einer solchen Eskapade aus. Das Ganze ist erzählt in einem feinsinnig-distanzierten Ton, der mitreißt, der Staunen macht, der die kleinsten Begegnungen mit Romantik anzufüllen weiß, ohne daß man daran festzukleben droht. Ein Briefroman mit einem Hauch Sommer und einem Bekenntnis zu den Leidenschaften, die die Ratio und ihre verbreiteten Abarten anästhesieren. (sm)

    Peters
    Stadt Land Fluß; Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt, 2000

    Stadt Land Fluß ist ein altes Spiel, das den geographischen Wissensschatz junger Menschen abfragt, die sich heute immer mehr von ihrer Heimat entfernen. In einer Welt, die immer mehr zusammen rückt und immer kleiner wird, dichtet Peters eine Ode an die Heimat in ihrer kleinteiligsten Facon, die untergehenden westdeutsche Gesellschaft.
    Peters Protagonist ist der 30jährige Kunsthistoriker Werthebach, aufgewachsen am Mittelrhein, mit einem Hang zum Alkohol und zur systematischen Desillusionierung, die in schwachen Momenten zur Demontage der eigenen Persönlichkeit gerät. Einem Wunder gleich, das Peters in den lichten Momenten dieses Buches auch wunderbar beschreibt, lernt der Protagonist die Zahnärztin Hanne kennen.
    Es sind die schlechten Zähne, die den Helden in die Arme seiner zukünftigen Frau treiben, und von dort in die immer ausschweifenderen Erinnerungen an seine Kindheit, kleinbürgerliche und bäuerliche Idyllen rheinischer Höfe und Familien, die allenfalls noch die Heimatforscher ländlicher Volkshochschulen bewegen können. Die Sehnsucht dieses jungen Autors (Jahrgang 61) nach dieser Zeit, nach der Geborgenheit dieser Welt, in der doch alles so gut angelegt, so wohlsortiert war, läßt erschrecken. So bleiben die wohl als Hauptmotiv angelegten Erinnerungsstränge störende Unterbrechungen im ansonsten bewegenden Erzählfluß. Denn Peters hat auch ein Talent. Er weiß zu erzählen und immer wieder gelingt es ihm, den ausbrechenden Leser einzufangen. Dann, wenn er die zermürbende Beziehungslangeweile beschreibt, die sich wie ein klaffendes Nichts zwischen Werthebach und Hanne auftut und immer größer wird, bis nur noch eine Katastrophe dazwischen passen kann. (af)

    Daniel Wagner
    Meine nachtblaue Hose; Alexander Fest Verlag, Berlin 2000

    Wagners Nachtblaue Hose reiht sich ein in den Reigen der Bücher junger westdeutscher Autoren, die sich gerne unter dem von Florian Illies geprägten Label der „Generation Golf“ subsumieren lassen. Jener heute zwischen 25 und 35jährigen, die erfolgreich, konsum- und wertorientiert, dafür aber weitgehend apolitisch durchs Leben gleiten und sich gegen ihre Überväter, die 68 abgrenzen wollen.
    Was beim Lesen dieses Buch vor allem verwundert, ist die Verve und Hartnäckigkeit, mit der junge westdeutsche Autoren am Bild ihrer längst vergangenen Heimat klammern, das in ihre erinnerte Vergangenheit gespiegelt und dort zu einem Paradies aufgebaut wird, das als Festung in der Brandung des Heute steht. Ein spießiges, geschütztes Biotop mit sorgenden Eltern, regelmäßigem Schul- und Stuhlgang und wenig Aufregung, ein Fluchtpunkt, der aus der nervenaufreibenden Gegenwart heraus mit wenigen Gedankensprüngen erreicht werden kann - ein sicheres Ufer.
    Es scheint beinahe, als hätten die jungen Männer, die dieses, ihr geliebtes Westdeutschland der 70er und 80er heraufbeschwören, Angst vor dieser heutigen, sich viel zu schnell verändernden Welt, in der nichts sicher, nichts gesichert scheint. Und man fragt sich allen Ernstes, wonach sich ihre jungen Altersgenossen jenseits der Mauer, die damals fest und unüberwindlich stand, sehnen mochten, als sie einen Westen als Alternative herbeihalluzinierten, in dem sie ihre Erlösung von der Enge und Spießigkeit des Ostens feiern wollten.
    Wagners Buch ist genau dort stark, wo es der Autor nicht beabsichtigt. Es hält in Atem, wo Wagner gesichertes Terrain verläßt und ins Heute vorstößt, wenn er die Liebesbeziehung seiner Protagonisten auskostet, zum Beispiel, bevor er den Leser wieder hemmungslos fallen läßt in die Abgründe des westdeutschen Mittelalters.
    Wenn es einen Verdienst Wagners gibt, dann den, die Borniertheit dieser Zeit wieder einmal mehr präzise aufleben zu lassen. Wünschen wir dem Autor für sein nächstes Buch, einen mutigen Kopfsprung in die Gegenwart. (df)

    Thomas A. Schmidt
    Serengeti, Roman, Rake Verlag, 28,90 DM
    (3-931476-01-4)

    Eine verhängnisvolle Reise in die Vergangenheit:
    Fünf Männer und fünf Frauen aus dem Westen Deutschlands folgen im Jahr 1999 der Einladung in das hermetisch abgeriegelte Erholungsgebiet "Zukunft" auf einer Insel im Nordosten Deutschlands. Wie in einem Naturpark sind dort Verhältnisse konserviert, wie sie vor 1989 überall in der DDR geherrscht haben. Was als humorvolle Urlaubsreise beginnt, wird jedoch bald zur beängstigenden Wirklichkeit. Fast willenlos lassen sich die Neuankömmlinge mit einer neuen Identität ausstatten und bemerken nicht, daß sie der neuen Realität nicht mehr entfliehen können. (df)

    Thomas A. Schmidt
    Weimar oder das Ende der Zeit, Roman, Rake-Verlag, 38,00 DM (3-931476-05-7)

    Deutschland, zehn Jahr nach der Wende. 1999 prallen Ost und West in der Kulturhauptstadt Weimar aufeinander. Der Kunstversicherer und Sprengspezialist Jakob Weimar, Held des Romans, flieht aus Frankfurt/Main in den Osten Deutschlands bis nach Weimar, auf der Spur seiner großen Liebe Rachel. Er trifft auf skurrile Gestalten, Klassikverehrer, die die Gegenwart verdrängen, Nostalgiker, die den untergegangenen Sozialismus wieder aufbauen wollen und eine kleine Revolution anzetteln, kopflose Intendanten, berühmte Schriftsteller und weniger berühmte Künstler. Alles spielt sich vor der Kulisse der Kulturhauptstadt im turbulenten Jahr 1999 ab. Auch mit Kulturkritik wird nicht gespart, wenn Schmidt in Weimar das deutsche Disneyland entdeckt. (df)

    Politische Bücher/Bücher zum Thema Mauer/Berlin:

    Stefan Wachtel
    Delikt 220
    ; Greifenverlag
    Erlebnisbericht eines politischen Gefangenen im Militärgefängnis der DDR Schwedt

     

Ausstellungen       

 

    Die Top 10 Ausstellungen in Berlin im Monat September

    Art Forum Berlin vom 27. September bis 1. Oktober in den Messeh

    Das Forum stellt nun bereits im fünften Jahr als internationale Messe für Gegenwartskunst die Programme von inzwischen 150 Galerien aus 23 Ländern vor. Für Neuentdeckungen sorgen die 19 Aussteller der Kategorie „Junge Galerie“, die das Teilnehmerfeld mit jungen und jüngsten Entwicklungen abrunden.

    Galerie Joanna Kamm, Linienstraße 158 (Mitte)
    Ben Carter und Rob Johannesma – Installationen und Video

    Galerie Schuster&Scheuermann, Clausewitzstraße (Charlottenburg)
    Thietz, Cities

    Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25 (Kreuzberg)
    Hannah Wilke, Unterbrochene Karrieren

    DAAD-Galerie, Kurfürstenstraße 58, (Tiergarten)
    Bis 17.9. Lucinda Devlin, danach Willie Doherty

    Internationale Videoausstellung, R.Luxemburg-Straße 9 (Mitte)

    Akademie der Künste, Hanseatenweg (Tiergarten)
    Sehen und Denken 10: Hartwig Ebersbach: Überfahrt des weißen Elefanten (Malerei)

    Martin Gropius-Bau, Stresemannstr. 10 (Kreuzberg)
    Sieben Hügel

    Galerie Argus Fotokunst, Marienstraße (Mitte)
    Sam Haskins: Image2

    Galerierundgang in Berlin Mitte
    am 30. September 17 bis 21 Uhr

    Tag des offenen Denkmals (Wochenende vom 8. Bis 10. September)
    u.a. Renaissance-Theater (einziges Art-Deco-Theater Eauropas),
    Gasometer-Bunker in Kreuzberg,
    Industriedenkmale in Oberschöneweide,
    Corbusier-Haus in Charlottenburg (Flatowallee)
     

    Thematische Ausstellungen

    The Story of Berlin – Geschichten einer Metropole
    Erlebnisausstellung im Ku’damm Karree (täglich von 10 – 20.00)

    Informations- und Dokumentationszentrum beim Bundesbeautragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Gauck-Behörde)
    Ständige Ausstellung zum Thema:

    “Staatssicherheit - Machtinstrument der SED-Diktatur”
    Mauerstrasse 38
    geöffnet Mo.- Sa. 10.00 -18.00
    030 / 22 41 77 70
    weitere Infos unte
    r http://www.bstu.de

    Grenzblicke – Werkschau des Dokumentationszentrums Berliner Mauer
    Bernauer Straße 111
    030 / 464 10 30

     

Film      

 

    Vergiß Amerika, von Verena Joop
    (im Rahmen des Medienfestivals Berlin-Beta)
    Ein wunderbarer Debutfilm über drei junge Menschen im Osten Deutschlands auf dem Such nach einem Weg zwischen Träumen und Wirklichkeit.

     

Theater       

 

    Ausführliche Theaternews nach der Spielpause in der Oktober-Ausgabe

     

Veranstaltungen       

 

    Führung zur Gedenkstätte Berliner Mauer (Bernauer Straße)
    030 / 463 51 06

    Gangart Berlin – Führung zum Thema 10 Jahre Mauerfall
    030 / 32703783

    Stadtverführungen/ Kulturbüro Berlin
    030 / 444 09 36
    Jeden Montag Mauerspaziergang von der Bernauer bis zur Invalidenstraße
    Berlin im 20. Jahrhundert

    Sonderführung „Auf den Spuren der Mauer“
    Edith Anna Haase, Berlin
    030 / 217 63 20

    Die Mauer – eine Spurensuche / Ansichtssachen
    030 / 4299 133

 

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